http://www.dvolver.com/live/movies-98283
Die schönste Zeit im Jahr, im Leben, im Jahr? Lassen Sie mich nachfühlen.
Frühling? Dieser lange, etwas bleichsüchtige Lümmel, mit einem Papierblütenkranz auf dem Kopf, da stakt er über die begrünten Hügel, einen gelben Stecken hat er in der Hand, präraffaelitisch und wie aus der Fürsorge entlaufen; alles ist hellblau und laut, die Spatzen fiepen und sielen sich in blauen Lachen, die Knospen knospen mit einem kleinen Knall, grüne Blättchen stecken fürwitzig ihre Köpfchen ... ä, pfui Deibel! ... die Erde sieht aus wie unrasiert, der Regen regnet jeglichen Tag und tut sich noch was darauf zugute: ich bin so nötig für das Wachstum, regnet er. Der Frühling –?
Sommer? Wie eine trächtige Kuh liegt das Land, die Felder haben zu tun, die Engerlinge auch, die Stare auch; die Vogelscheuchen scheuchen, dass die ältesten Vögel nicht aus dem Lachen herauskommen, die Ochsen schwitzen, die Dampfpflüge machen Muh, eine ungeheure Tätigkeit hat rings sich aufgetan; nachts, wenn die Nebel steigen, wirtschaftet es noch im Bauch der Erde, das ganze Land dampft vor Arbeit, es wächst, begattet sich, jungt, Säfte steigen auf und ab, die Stuten brüten, Kühe sitzen auf ihren Eiern, die Enten bringen lebendige Junge zur Welt: kleine piepsende Wolleballen, der Hahn – der Hahn, das Aas, ist so recht das Symbol des Sommers! er preist seinen Tritt an, das göttliche Elixier, er ist das Zeichen der Fruchtbarkeit, hast du das gesehn? und macht demgemäß einen mordsmäßigen Krach ... der Sommer –?
Herbst? Mürrisch zieht sich die Haut der Erde zusammen, dünne Schleier legt sich die Fröstelnde über, Regenschauer fegt über die Felder und peitscht die entfleischten Baumstümpfe, die ihre hölzernen Schwurfinger zum Offenbarungseid in die Luft strecken: Hier ist nichts mehr zu holen ... So sieht es auch aus ... Nichts zu holen ... und der Wind verklagt die Erde, und klagend heult er um die Ecken, in enge Nasengänge wühlt er sich ein, Huuh macht er in den Stirnhöhlen, denn der Wind bekommt Prozente von den Nasendoktoren ... hochauf spritzt brauner Straßenmodder ... die Sonne ist zur Kur in Abazzia ... der Herbst –?
Und Winter? Es wird eine Art Schnee geliefert, der sich, wenn er die Erde nur von weitem sieht, sofort in Schmutz auflöst; wenn es kalt ist, ist es nicht richtig kalt sondern naßkalt, also naß ... Tritt man auf Eis, macht das Eis Knack und bekommt rissige Sprünge, so eine Qualität ist das! Manchmal ist Glatteis, dann sitzt der liebe Gott, der gute, alte Mann, in den Wattewolken und freut sich, dass die Leute der Länge lang hinschlagen ... also, wenn sie denn werden kindisch ... kalt ist der Ostwind, kalt die Sonnenstrahlen, am kältesten die Zentralheizung – der Winter –?
»Kurz und knapp, Herr Hauser! Hier sind unsere vier Jahreszeiten. Bitte: Welche –?« Keine. Die fünfte.
»Es gibt keine fünfte.«
Es gibt eine fünfte. – Hör zu:
Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es – wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat –: dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an andern Tagen atmet sie unmerklich aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist – nun ist es vorüber. Nun sind da noch die Blätter und die Gräser und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick steht das Räderwerk still. Es ruht.
Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen ... kein Blatt bewegt sich, es ist ganz still. Blank sind die Farben, der See liegt wie gemalt, es ist ganz still. Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben – es ruht.
So vier, so acht Tage –
Und dann geht etwas vor.
Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles. Es geht wie ein Knack durch die Luft – es ist etwas geschehen; so lange hat sich der Kubus noch gehalten, er hat geschwankt ... , na ... na ... , und nun ist er auf die andere Seite gefallen. Noch ist alles wie gestern: die Blätter, die Bäume, die Sträucher ... aber nun ist alles anders. Das Licht ist hell, Spinnenfäden schwimmen durch die Luft, alles hat sich einen Ruck gegeben, dahin der Zauber, der Bann ist gebrochen – nun geht es in einen klaren Herbst. Wie viele hast du? Dies ist einer davon. Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht, es solle nie, nie aufhören. Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden – es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes. Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.
(ich habe es hier geklaut)Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 22.10.1929, Nr. 43, S. 631.
"Der Pendo-Verlag mit allen seinen Mitarbeitern bedauert zutiefst die Missverständnisse, die sich im Anschluss an eine Pressekonferenz ergaben, in der unsere Autorin Eva Herman ihr neues Buch Das Prinzip Arche Noah. Warum wir die Familie retten müssen vorstellte. Dieses Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die dringend notwendige Rückbesinnung auf Werte, wie sie in der Familie gelebt werden: Liebe, Verantwortung, Gemeinsinn. Es ist eine engagierte Reflexion über gesellschaftliche Missstände, die uns alle angehen. Nie ist es die Absicht des Verlags oder der Autorin gewesen, in irgendeiner Weise die Ideologie des Nazi-Regimes zu verharmlosen oder sogar gutzuheißen. Schlagzeilen wie „Eva Herman lobt Hitlers Familienpolitik“ sind daher irreführend und entsprechen absolut nicht der Intention von Autorin und Verlag. Im Gegenteil: Ausdrücklich stellen wir fest, dass wir gegen Rassismus, Rechtsradikalismus und jede Art der Diskriminierung Stellung beziehen. Sowohl Eva Herman als auch der Pendo-Verlag wehren sich daher gegen tendenziöse Berichterstattungen, die Frau Herman fälschlicherweise in den Kontext von Hitler-Sympathisanten rücken. Wir fordern eindringlich dazu auf, sich mit den Inhalten des Buchs differenziert auseinander zu setzen, statt bei Vorverurteilungen stehen zu bleiben."
Hochzeit auf emigrantisch
Sie trafen sich bereits seit einem Jahr und bei ihrer ersten gemeinsamen Reise hat Isaac meiner kleinen, dicken, dunkelhaarigen Cousine Rosa im „Little-Odessa“ einem russischen Restaurant in Brooklyn New York den lang ersehnten Heiratsantrag gemacht. Nach der Hühnerbrühe und vor dem gefilten Fisch streifte er ihr einen goldenen Ring über den Finger und während sie ihn – ihren neuen Ring - tränenverhangen bestaunte, erzählte er, dass das der Ring seiner Großmutter Sarah gewesen ist und er – Isaac - sie – seine Rosa – heiraten wolle. Isaacs Großvater Samuel, der hauptberuflich Kartenspieler und nebenberuflich Bäcker in einem Stettl mitten in Galizien in der Nähe von L’vov gewesen ist, soll diesen Ring damals erspielt haben. Vor dem Gewinn steckte das goldene Schmuckstück mit dem roten Stein nämlich am Finger eines reichen Pelzhändlers. Großvater Samuel hat ihn anschließend bei einem Goldschmied kleiner machen lassen, mit der Absicht ihn eines Tages der Frau seines Herzens und Mutter seiner zukünftigen Kinder zu schenken. Als Zeichen seiner Liebe.
Nachdem Rosa und Isaac, der bald zu meiner Familie gehören sollte aus den U.S.A - dem gelobten Land Nr. 2 - zurückkamen, gab es nichts anderes mehr in Rosas Leben als die Hochzeitsvorbereitung. Seitdem konnte sie über nichts anderes mehr sprechen. Nach etlichem Hin und Her haben alle, die mitreden wollten, und das waren viele, sich endlich doch noch einigen können. Der Grund für laute Diskussionen und heftige Streitereien war das Datum, denn der achte März war in der Sowjetunion der internationale Frauentag. Man erinnerte sich ungern an die Heimat, die man vor mehr als zwanzig Jahren bei der erstbesten Möglichkeit fluchtartig verlassen hat und die als solche auch gar nicht mehr existierte. Die Sprache ist aber geblieben.
Genauso wie Rosa und ihre Eltern habe auch ich diesem Land vor mehr als zwanzig Jahren den Rücken gekehrt und vielem, was dort eine Bedeutung hatte, abgeschworen. Etlichen Traditionen und den mit der Muttermilch eingesaugtem tief sitzenden Aberglauben. Wovor man im Leben Angst haben musste und das dazu gehörige fein ausgeklügelte Verhalten das man unbedingt einhalten musste um das Unglück abzuwenden. Das aufzugeben hat mich etliche Analysesitzungen und einige Jahre meines Lebens gekostet. Seit Jahren führte ich mein unauffälliges Mimikry-Dasein ohne Traditionen und religiöse Feste und meinte es ganz gut im Griff zu haben, als mit einem Brief dieses Gerüst ins Wanken geriet und ich kalten Schweiß auf meiner Stirn entdeckte, denn auf einmal war sie da – die Familie.
Die Einladung zur Rosas und Isaacs Hochzeit lag im Briefkasten. Ich riss den Briefumschlag auf und starrte auf den Text, der mich mit seinen goldenen Buchstaben ansprang. Ein Familienfest war für mich ein kritisches Lebensereignis. Ich wusste nicht was ich machen sollte und befand mich mittendrin in meinem Dilemma. Nach einigen Alpträumen und etlichen Anrufen von Rosa in denen sie mich zu kommen bat oder schlicht und einfach erpresste, habe ich nach zwei Wochen kapituliert, die weiße Fahne gehisst und zugesagt.
Am achten März stieg ich mit dem Geschenk, einem ordinärem Kuvert, in dem ein beeindruckender Geldschein steckte und einem recht großen aus unzählig vielen Weideröschen bestehendem Blumenbouquet in ein Taxi. Die Sonne schien. Es war angenehm warm. Nach einer halben Stunde hielt der Taxifahrer vor dem großen Hotel, dessen Namen man auf der ganzen Welt kannte. Ich bezahlte, stieg aus und ging in Richtung Eingangstür. Der livrierte Mann war so freundlich mir diese aufzuhalten. Er zeigte mit seinem Zeigefinger, der in einem weißen Handschuh steckte, auf das große Schild, worauf unmissverständlich geschrieben stand, dass sich der Ort meines Einladungsgrundes im zweiten Stock befand. Das Entree bestand aus zwei überdimensionalen Marmorsäulen. Das Brautpaar stand direkt daneben und nahm die Geschenke in Empfang. Die etwas teigige Fotografin in einem wenig vorteilhaften Kleid zog mich barsch am Ärmel und stellte mich neben den Brautleuten ab, so dass ich es gerade noch rechtzeitig schaffte Rosa den Umschlag in die Hand zu drücken. Kurz darauf entlud sich das Blitzgewitter und ich hoffte keinen bleibenden Schaden davontragen zu müssen. Nachdem ich wieder sehen konnte erblickte ich einen Mann im grauen Anzug. Er hielt eine Kamera in der Hand und drehte ein Video. Damit auch die nachfolgenden und noch nicht geborenen Generationen sehen konnten wie die Vorfahren ihre Hochzeit gefeiert haben.
In meinem minimalistisch-schwarzen Designerhosenanzug sah ich aus, wie die arme Verwandte. Die fülligen Damen und Freundinnen der Braut musterten mich ein wenig verächtlich, denn sie waren in Abendkleider eingenäht, die bestimmt drei bis vier Monatsmieten meiner Wohnung kosten mussten. Man wollte gesehen und es musste über einen gesprochen werden und dafür war kein Aufwand zu hoch. Von dem funkelnden Schmuck der an ihnen hing etwas geblendet, hätte ich beinahe den pompösen Eingang zum Bankettsaal übersehen, der mit den prächtigsten Blumen und Schleifen in allen Farben geschmückt war. Am langen mit einem weißen Leintuch gedeckten Tisch saßen bereits einige Menschen, die ich über zwanzig Jahre nicht mehr gesehen habe. Die Begrüßung begann mit Umarmungen und mündete in feuchten Küssen auf meinen Wangen. Kinder und junge Menschen wurden mir in verschiedenen Sprachen vorgestellt, denn sie kamen aus Canada, U.S.A, Israel, Russland, Ukraine und bestimmt habe ich einige Länder vergessen. Als ein alter Mann aufstand und auf mich zukam, erkannte ich den uralten Onkel Lazar den ich nur zwei Mal in meinem ganzen Leben gesehen habe. Ich umarmte ihn und der Bann war gebrochen. Mit einem Mal befand ich mich in der Zeit meiner Kindheit. Salziges, warmes Wasser rannte um die Wette meine Wangen herunter. Ich sah Menschen, die ich kannte, wieder erkannte und doch nicht kannte. Menschen, die ich an diesem Tag kennen gelernt habe. Die Geschichten mit einigen von ihnen, die sich in diesem mir völlig fremden Raum befanden, waren zugleich auch meine Geschichten. Dieselben Geschichten meiner und ihrer Vorfahren. Und meine neue Familie. Isaacs Familie. Es gab Unmengen zu essen und noch mehr zu trinken. Im vorgerückten Morgengrauen spielte Slaviks Band auf der Yamaha Orgel Hevenu shalom alejchem und alle, die noch auf ihren eigenen Beinen stehen konnten, sprangen von ihren Stühlen auf und tanzten. Einige Männer deren Goldkettchen im Takt um ihre Hälse baumelten, hielten sich an den ausladenden Hüften ihrer Ehefrauen fest und schoben diese ein wenig taktlos über das Parkett. Das Brautpaar stand noch mehr oder weniger aufrecht mitten auf der Tanzfläche als das Lied verstummte und der harte Kern, der noch Kraft hatte, laut Gor’ko zu rufen anfing. Das war die Aufforderung zum Küssen an die Brautleute, so will es der Brauch, und Rosa und Isaac taten es auf diese bestimmte Art und Weise, die nur Verliebten eigen war. Und mich selbst überkam ein fast vergessenes Gefühl – ich war glücklich.
(copyright by Rusanna Valentinovna)
Und hier ein Lied von rot-front zur Einstimmung
"You have two birth-places. You have the place where you were really born and then you have a place of predilection where you really wake up to reality."
Lawrence Durrell -- Blue Thirst